Psychologische Effekte der Gewichtszunahme

                                                            

Dein Auge kann die Welt

trüb oder hell Dir machen.

Wie Du sie ansiehst,

wird sie weinen oder lachen.

(Friedrich Rückert)

 

Die Diskussion um die richtige Ernährung bzw. Nahrungsreduktion konzentriert sich vielfach in erster Linie auf die notwendigen Nährstoffe, bisweilen auch auf Schadstoffe, die es zu vermeiden gilt. Dabei wird neben Bewegungsmangel ein weiterer wichtiger Punkt der Adipositasverursachung übersehen.

 

Essen hat mit Lust zu tun, mit guter oder schlechter Laune, Depressivität, Belohnung dafür, dass man so brav war, seine ungeliebte Arbeit gemacht zu haben. Essen ist Trost bei Einsamkeit. Man denke nur an die älteren Frauen, die verwitwet regelmäßig ins Cafe gehen, um sich bei Kaffee und Torte zu „verwöhnen“.

 

Der Hintergrund: Bestimmte Nahrungsbausteine (Aminosäuren) können zu Glückshormonen umgebaut werden. Essen ist auch Zufuhr von Bausteinen für Botenstoffe des Gehirns oder auch deren direkte Aufnahme, weil sie in den Nahrungsmitteln vorkommen.

 

In einer Zeit in der die Anzahl der psychisch belasteten Menschen stark zugenommen hat, erfüllt Essen häufig den Zweck einer „Psychotherapie durch Essen und Trinken“. Hierfür werden, um nur einige Beispiele zu nennen, Tüten von Kartoffel Chips, Erdnussflips, oder große Mengen an Alkohol, Cola und Limonaden konsumiert.

 

Eine kürzlich auf der Jahrestagung der Abteilung für Gesundheitspsychologie der Britischen Psychologischen Gesellschaft vorgestellten Studie um Martin Cartwright ergab, dass sich das Essverhalten von Schulkindern ändert, wenn sie Stress ausgesetzt sind. Unter diesen Umständen wird das Frühstück ausgelassen. Die Kinder essen viel Fettes und weniger Obst und Gemüse. Dass diese Ernährung zu Übergewicht führt, ist für die psychisch belasteten Kinder offensichtlich weniger wichtig, als die Verbesserung des psychischen Wohlbefindens, das durch die Ernährungsänderung erzielt wird.

 

Es kommt nicht nur auf die Art der Nahrung, sondern auch auf die Reihenfolge an, in der die Nahrung genossen wird. So wird mit dem Hauptgericht Eiweiß in Form von Fleisch oder Fisch gegessen. Eiweiß besteht normalerweise aus 20 verschiedenen Aminosäuren. Diese sind nicht nur Bausteine für den Aufbau körpereigener Eiweiße, sondern auch Ausgangsstoff für viele Hormone und Gewebsbotenstoffe. So entsteht beispielsweise aus dem Eiweißbaustein Tryptophan Serotonin und Melatonin.

 

Serotonin ist ein wichtiger Botenstoff, der im Gehirn antidepressiv wirkt. Bei Stress mit depressiver Grundstimmung ist es also wichtig, dass das Gehirn gut mit dem Eiweißbaustein Tryptophan versorgt wird. Jetzt folgt der Trick, mit dem dies erreicht wird: Wir essen nach dem eiweißreichen Hauptgericht eine Süßspeise!

 

Der Zucker des Nachtischs verursacht eine verstärkte Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse. Insulin bewirkt nicht nur, dass der Nahrungszucker aus dem Blut ins Gewebe aufgenommen wird, sondern auch die verstärkte Aufnahme bestimmter Aminosäuren, nicht aber die von Tryptophan. So erhöht sich dessen Konzentration im Blut und damit das Tryptophanangebot an das Gehirn. Das Gehirn produziert so aus dem Eiweißbaustein Tryptophan mehr des gegen Depression wirksame Serotonin. Der Mensch hat durch seine Nahrungsauswahl sein Stimmungstief erfolgreich behandelt.

 

Fazit:

 

Unsere Auswahl der Nahrung wird durch vererbte und unbewusst gelernte Mechanismen gesteuert. Unsere Nahrungsauswahl läuft also meistens unbewusst ab. So hat eine Ernährung nach Ernährungsvorschriften, die immer bewusst, oft gegen die eigene Empfindung durchführt wird, für eine Dauerernährung keine Chance. Ursächlich ist festzustellen, dass häufig die eigentlichen Ziele der Nahrungszufuhr, wie im Beispiel Besserung der Stimmung bei Stress, in den Ernährungsempfehlungen nicht berücksichtigt sind.

 

Um eine Reduktion von Übergewicht zu erreichen, wären deshalb häufig Lösungen für Stress am Arbeitsplatz oder im sozialen Umfeld nötig. So könnte ein Training von sozialer Kompetenz oder im Konfliktlösungsverhalten bessere Gewichtsreduktion ermöglichen, als eine Ernährungsempfehlung. Ein Hauptfaktor für Übergewicht ist die „nicht artgerechte Tierhaltung der Spezies Mensch“ mit emotionaler Verarmung, fehlender Kommunikation und Bewegungsmangel.

 ©K. Seubert 2002